Das “Herz der Welt”

 Wie jemand lebt und wie er die Wirklichkeit sieht, hängt in erster Linie davon ab, wie weit er den Wert alles Seins erkannt und bejaht hat. Der Mensch ist immer in Gefahr, sich auf die materiellen Werte zu fixieren und von dort her alle anderen Werte des Lebens zu bestimmen, obwohl eigentlich jeder weiß, wie unbeständig und vergänglich alles hier auf Erden ist.
“Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz” (Mt. 6,21), sagt uns Jesus, und will uns damit davor bewahren, auf falsche “Schätze” zu setzen und damit in unserem Herzen für die eigentlichen Schätze unseres Daseins blind zu werden!
“Ist das Leben nicht mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?” (Mt. 6,25). Viele Menschen sehen heute nicht mehr dieses “Mehr”, den Sinn hinter aller Wirklichkeit, viele verzichten gar auf die Frage nach der letzten und eigentlichen Wahrheit.
Ihre Beziehung zur Wirklichkeit bleibt dann unvollkommen und gebrochen, letztlich blind. Auch wenn sie sich noch so “weltgewandt” geben, sie leben wirklichkeitsfremd und vergeuden ihr Leben mit wertlosem Tand. Was wäre die ganze Welt auch wert, wenn sie nur eine Ausformung von unvernünftiger Materie ohne Herz, ohne Güte und ohne Liebe wäre? Alles menschliche Tun und Streben bliebe ohne Ziel und ohne Erfüllung, ohne Wahrheit und damit auch ohne Vernunft.
Wir selbst sind zwar Vernunft und setzen diese auch unausweichlich in unserem ganzen Leben ein. Doch wir erleben uns nur als geschaffene Wesen, wir können aus uns selbst nicht Werte oder Wahrheit erschaffen, sondern nur nachvollziehen, was wir als absolut geltende Wahrheit erkennen können.
Was aber gibt der Wirklichkeit Sinn und einen bleibenden Wert? Gibt es hier eine Antwort? Lehren nicht die vielen verschiedenen Religionen und Weisheitslehren ganz unterschiedliche Wege und Gottesbilder?
Letztlich entspricht kein bloß menschlicher Religionsgründer und keine bloß menschliche Lehre dem wahren Anspruch und der letzten Wahrheitssehnsucht des Menschen, die ihm mit der Vernunft ins Herz gelegt worden ist. Das Herz des Menschen bleibt ohne Erfüllung und ohne wahres Licht, solange er seinem Schöpfer fern bleibt, dem er sich in der Sünde schon der ersten Menschen entfremdet hat.
Gott selbst aber wollte den Menschen nicht in dieser Finsternis und Not belassen. Er selbst neigte sich zu seinen Geschöpfen hernieder, die er als Einzige auf dieser Welt nach Seinem Ebenbild erschaffen hatte. Er wollte und will unsere Herzen, die durch unsere falsche Ausrichtung oft zu Herzen aus Stein geworden sind, aus dieser Versklavung an die falschen “Götter” und “Werte” wieder befreien und unser Herz wieder mit Leben, Licht und Liebe erfüllen, uns also aus der Knechtschaft Satans, in die wir durch die Sünde geraten sind, erlösen und uns als Seine wahren Kinder zum wahren, erfüllten und unüberbietbaren Leben in Seiner Liebe führen!
In Seiner Menschwerdung hat Jesus auch Sein Herz, das Herz Gottes selbst, offenbart! Ohne Jesus Christus bliebe die ganze Welt unerfüllt und herzlos. Erst in der Erkenntnis des Herzens Jesu, das sich in Liebe für uns dahingibt, erschließt sich der Sinn und das Ziel der ganzen Schöpfung.
Die heilige Katharina von Siena nennt Jesu Herz deshalb auch “das Herz der Welt”, was zunächst merkwürdig klingt. Betrachten wir den Titel aber genauer, erkennen wir, dass die Welt ohne Jesus Christus wirklich “herzlos” und verloren wäre, dass es letztlich die Liebe Christi ist, welche der ganzen Schöpfung ihren Wert gibt, dass wirklich nur die Erkenntnis und Nachfolge Jesu Christi uns aus der scheinbaren Herzlosigkeit des Alls, die uns überall vorgestellt wird und die uns oft so drohend umgibt, die eigentliche Güte und den Sinn aller Wirklichkeit erschließt!
Einst hatte Katharina ihrem Beichtvater anvertraut, dass Jesus einmal ihr Herz genommen und nach drei Tagen an dessen Stelle Sein eigenes Herz gesetzt habe mit den Worten: “Tochter, siehe mein Herz, mit dem du für immer leben wirst” (vgl. Ferri, Edgarda, Catarina da Siena, Mailand 2001, S. 62).
Von diesem Moment an, erzählt Katherina weiter, war sie eine andere Person geworden. Vorher hatte sie immer gefürchtet, angesichts der Versuchungen einmal das Vertrauen in Gott verlieren zu können, und sie hatte unter Tränen um einen unerschütterlichen Glauben gefleht, der allen Gefahren und Bedrängnissen widerstehen könne.
Der Herr hatte ihr dann versprochen: “Ich werde dich mit mir im Glauben vermählen” (a.a.O., S. 60). Dies geschah am 2. März 1369, am letzten Abend des Karnevals. Jesus war ihr erschienen, zusammen mit Seiner Mutter Maria, mit dem Evangelisten Johannes, mit dem heiligen Paulus und dem Propheten David. Maria hatte ihre Hand genommen und Jesus hatte ihr einen goldenen Ring mit vier Perlen und einem Diamanten angesteckt.
“Von diesem Tag an war sie zufrieden mit allem, nichts mehr verwirrte sie, was immer auch vorkam” (a.a.O., S. 61), erzählt ihr Beichtvater Tommasso della Fonte.
“Ich finde keine Worte, um zu erklären, was in mir geschieht... Es ist eine solche Glut in meiner Seele, dass mir das Feuer im Vergleich dazu kalt erscheint”, sagt sie über den erlebten Herzenstausch. Sie sprach davon, dass die in ihrer Brust “das Herz der Welt” trage und fügte hinzu: “Von dieser Glut geht in mir eine ganz neue Stärke der Reinheit und der Demut hervor, die es mir erscheinen lässt, ein Kind geworden zu sein. Und ich spüre eine solche Liebe zum Nächsten, dass ich mit großer Freude des Herzens und des Geistes für ihn sterben möchte...
Mein Herz ist voll von einer solchen Freude und Heiterkeit, dass ich mich wundere, dass meine Seele noch im Leib bleibt” (a.a.O., S. 62).
“Und nun geh, geh in die Welt und kümmere dich um die anderen”. “Deine Zelle bin nun ich in Dir. Wenn du dich selbst tief erkennen wirst, wirst du nicht mehr verschlossen in deiner Stille bleiben müssen. Geh unter die Leute. Laufe. Betritt die Behausungen der Armen. Besuche die Kranken. Halte die Hand der Sterbenden. Nähere dich dem Bett der Aussätzigen. Wasche sie, heile ihre Wunden.... ” (a.a.O., S. 62).
Jesus kann und will unser Herz verwandeln, es aus der Dürre und Härte wieder mit neuer Kraft, mit neuer Glut, mit neuem Leben und mit wahrer Freude erfüllen! Seit den Tagen, in denen Er unter uns Menschen in Galiläa und Judäa umherwandelte, ist dies Seine Sendung und Sein Anliegen, die Kranken, Notleidenden, in die Sünde verstrickten Menschen wieder aufzurichten, ihnen ein Heiland und Erlöser zu sein.
So ist das Herz Jesu die Mitte der ganzen christlichen Gotteslehre. Die Offenbarung der unaussprechlichen Liebe Gottes, die so weit ging, unsere Not mit uns zu teilen, ja selbst die furchtbarsten Todesleiden, die Ihm unsere Sünden zufügten, zu erdulden, um uns durch diese Liebe aus unserer Lieblosigkeit und ihren Folgen zu erlösen, nimmt alle scheinbare Finsternis, der die Schöpfung wegen der Sünde unterworfen ist, wie dicke Nebel nach einem Windhauch hinweg und verleiht der Wirklichkeit in diesem Licht mit dem Sonnenstrahl der Liebe einen unaussprechlichen Glanz, der die ursprüngliche Schönheit und den ursprünglichen Plan Gottes mit Seiner Schöpfung wieder zum Leuchten bringt!
Die Ausrichtung auf Jesu Herz ist deshalb keine Sonderbotschaft, sie hat auch nicht erst mit den weit bekannten Mitteilungen an Schwester Margaretha Maria Alacoque (1647 - 1690) begonnen. Durch Jesu Bitten an sie hat allerdings mit der Einführung des Herz-Jesu-Festes und der Herz-Jesu-Freitage die Liebe des Herzens Jesu in der Kirche neue Aufmerksamkeit und eine weitverbreitete Verehrung gefunden. Doch das Herz und die Liebe Christi ist von allem Anfang an der Mittelpunkt der ganzen christlichen Verkündigung und des ganzen christlichen Lebens gewesen, wie es das Leben von vielen Christen und Heiligen schon in den vielen Jahrhunderten davor deutlich zeigt!
Schon das Alte Testament, dem noch die Vollendung der Offenbarung Gottes fehlt und das noch nicht das vollkommene Licht der Liebe Jesu Christi kennt, verkündet schon von ferne die Botschaft des liebenden Herzens Gottes, der auch unsere Herzen umgestalten will, wie es die Propheten vorhergesagt haben: “Siehe, es kommt die Zeit, - Spruch des Herrn - da schließe ich einen neuen Bund mit Israels Haus und Judas Haus. Nicht einen Bund, wie ich ihn geschlossen mit ihren Vätern, als ich sie bei der Hand nahm, sie aus Ägypten zu führen, einen Bund, den sie gebrochen haben, obwohl ich ihr Herr war, - Spruch des Herrn.
Nein, dies wird der Bund sein, den ich schließen werde nach jenen Tagen mit Israels Haus - Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in ihr Herz und schreib es in ihre Seele. So werde ich ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. Sie werden sich nicht mehr gegenseitig, einer den anderen, belehren: ‘Erkenne den Herrn!’, weil alle mich kennen vom Kleinsten bis zum Größten, - Spruch des Herrn. Denn ihre Schuld vergebe ich ihnen und ihrer Sünden gedenke ich nicht mehr” (Jer. 31,31ff.).
“Ich werde euch von den Völkern wegholen und euch aus allen Ländern sammeln und in euer Land zurückführen. Reines Wasser werde ich über euch sprengen, dass ihr rein werdet. Von all euren Unreinheiten und alle euren Götzen werde ich euch reinigen. Ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres legen. Das Herz aus Stein will ich aus eurer Brust entfernen und euch ein Herz aus Fleisch geben. Ich werde meinen Geist in euer Inneres legen und bewirken, dass ihr nach meinen Geboten wandelt und meine Satzungen gewissenhaft beobachtet” (Ez. 36,24ff.).
Die wahre Religion kann nur eine Religion des Herzens Gottes sein. Dadurch wird die Antwort des Menschen, die Rückbindung, Religion, erst möglich. In Jesus Christus hat sich Gott selbst uns zugeneigt. Ohne die Liebe Gottes, die sich hier offenbart, kann es Religion letztlich nicht geben, ist die ganze Wirklichkeit herzlos und kalt, nichts wert.
Es wäre deshalb keine Liebe, sondern Herzlosigkeit, die Offenbarung des Herzens Gottes vor der Welt zu verschweigen, oder so zu reden, als könne sich das Volk Israel mit dem Alten Testament begnügen, wie es heute selbst viele Theologen und Kirchemänner tun (vgl. Artikel: “Jesus Christus verzichtbar?”). Der Alte Bund steht noch nicht unter dem Zeichen der wahren Erlösung von der Sünde und ist deshalb auch noch nicht die volle Offenbarung Gottes, er sieht den wahren Anbruch des Reiches Gottes, den Jesus uns gebracht hat und den die Propheten vorausgesagt und erwartet haben, erst von ferne!
Gott aber will uns alle aus der Ferne heimholen in Seine Nähe und hat uns deshalb selbst heimgesucht, um uns in Seinem Sohne alles zu schenken! Lassen wir uns von der Liebe Gottes anstecken! Lassen auch wir uns von Jesus Christus senden, jeder nach seiner Berufung, wie auch die heilige Katharina sich senden ließ und als einfache Jungfrau unermesslich viel zur Überwindung der Not der Kirche beitragen durfte, nicht nur in der Fürsorge für die Armen und Kranken, sondern auch, als es darum ging, das Papstamt und mit ihm die ganze Kirche Christi aus den damaligen Gefährdungen wieder herauszuführen!
Öffnen wir unsere Herzen, schenken wir sie Jesus und lassen wir sie durch Sein Herz und Seine Liebe erneuern! Nur so können wir gute Früchte bringen, die der Mensch aus sich selbst nicht schaffen kann! Die Gottesmutter Maria möge mit allen Engeln und Heiligen für uns bitten, damit wir würdig werden, die Liebe des Herzens Jesu auch in unseren Herzen wohnen zu lassen, damit sich Kirche und Welt in der Liebe dieses Herzens zu erneuern beginnen können!

Thomas Ehrenberger

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